Mittwoch, 4. Juli 2012

Neubeginn.

"Entpuppt"


Als ich mir die Frage stellte, was „Neubeginn“ für mich bedeutet, kam als spontane Antwort: Sterben. Gefolgt von: Verlassen, Tod, Loslassen und Verabschieden. In diesem Moment war mir bewusst, dass ich mich dem Thema Neubeginn nur unter Miteinbezug dieser sterbenden Seite widmen kann. Ohne dieses „Sterben“, dieses Zurücklassen gibt es keinen Neubeginn. Diese beiden Seiten gehören zusammen wie Licht und Schatten, Sonne und Mond, Tag und Nacht, Hell und Dunkel, Vater und Mutter, Yin und Yang. Dieses polare Spiel zeigt sich in den alltäglichen Wandlungsprozessen in denen wir uns bewegen, in den wechselnden Rollen die wir einnehmen und in der Beziehung zwischen Bewusstem und Unbewusstem. So lassen wir morgens die Traumwelt zurück, um im Wachbewusstsein unseren Tag zu leben. Wir wechseln die Masken von Mutter, Vater oder Kind, um uns für den Berufs- oder Schultag vorzubereiten und um uns mit den passenden Masken für diese Rollen zu schmücken. Wenn wir abends wieder den Arbeitsplatz oder die Schule verlassen, kehren wir in die „Familien- oder Partnerrollen“ zurück. Wenn wir uns zurückziehen und alleine sind, setzen wir wiederum andere, noch individuellere und geheimnisvollere Masken auf, die nur für uns ganz allein wirken dürfen. Wir erleben dieses Sterben und Neugeborenwerden auch, wenn wir „das Licht der Welt erblicken“ – danach in jedem weiteren Entwicklungsschritt. Immer wieder muss auf diesem Weg etwas geopfert werden, um etwas Neues entstehen zu lassen. So auch, wenn wir als Kinder plötzlich von uns als „Ich“ sprechen und damit beginnen uns als Individuum, als „getrenntes“ Wesen zu erfahren. Ebenso wenn wir uns in der Pubertät im Spannungsfeld zwischen „nicht mehr“ Kind und „noch nicht“ Erwachsene/r nach Orientierung und Abgrenzung aber auch nach Nähe sehnen. Wenn wir selbst Kinder auf die Welt bringen und diese uns irgendwann wieder verlassen, um ihr eigenes Leben zu leben. Wenn wir Partnerschaften eingehen, diese verlassen, um wieder neue Partnerschaften entstehen zu lassen. Wenn wir älter werden und erfahren, dass unser Körper sich verändert und langsamer wird und der Fokus mehr nach innen geht. Wenn uns jemand verlässt oder stirbt, der uns nahe steht. Ebenso verlassen wir Orte, um an neuen Orten unser Glück zu suchen. Manchmal geschieht dieses Verlassen eines vertrauten Ortes nicht gewollt, wenn man sein Heimatland aus politischen Gründen oder aber weil man verfolgt wird, verlassen muss.







Immer wieder tun sich an diesen Wendepunkten in unserem Leben Lücken auf und ...
immer wieder sind wir gefordert diese Lücken zu schließen, um vollständiger zu werden. Dies ist ein niemals endender Prozess und kann symbolisch auch als ein Kreis der immerwährenden Wandlung von Sterben und Geborenwerden verstanden werden. 


"Sog zum Selbst"

Auch in der Tierwelt lässt sich dieser Wandel beobachten. So z. B., wenn sich aus einer eher unscheinbaren kleinen Raupe ein wunderschöner bunter Schmetterling entpuppt. Hier denke ich auch an den Phoenix der aus der Asche tritt. Er steht für etwas verloren geglaubtes, das in einem neuen Glanz wieder erscheint. Der neue Glanz steht hier für das Ergebnis der Veränderung, die durch das Verbrennen des Alten erst möglich gemacht wird, um eben wieder im neuen Glanz zu erscheinen. 

"Phoenix aus der Asche"

Viele Märchen und Mythen erzählen ebenfalls von diesem Veränderungs- und Entwicklungsprozessen. Eine bedeutende Figur, welche diese beiden Seiten in sich ausdrückt, ist die hinduistische Göttin Kali. Sie ist eine Göttin des Todes und der Zerstörung, wird aber ebenso als Göttin der Erneuerung und der Transformation verehrt.

"Göttin Kali"

Des weiteren ist auch die Bewusstwerdung von bislang Unbekanntem als Neubeginn zu sehen. Nämlich wie Adam schreibt: „Aus der Matrix des Unbewusstem ist durch eine Neuschöpfung, die wir letzten Endes nicht erklären können, Bewusstsein hervorgegangen, dass sich sodann zum Ich-Bewusstsein zentriert hat.“ 
Er vergleicht dieses Geschehen mit der Entstehung einer Insel im Ozean, welche umgeben von einem Meer an Unbewusstem ist. Dieser Prozess, des Wachsens aus dem Unbewusstem heraus, den ich als Neubeginn bezeichne, wird auch in einem therapeutischen Setting oder einer Selbsterfahrung immer wieder erlebbar, wenn das unbewusste Material bewusst gemacht und integriert wird. Mit Integration ist allerdings nicht gemeint, das etwas verschwindet, viel mehr meint es das Wissen um bis dato Unbewusstes. Es kann hier auch von einer Verlagerung, auf eine andere Ebene, gesprochen werden.

Alle diese Prozesse sind begleitet von einer Sehnsucht, die gestillt werden möchte. Eine Sehnsucht, die uns einen Impuls für unseren Weg gibt. Eine Sehnsucht, die uns „nach Hause“, zu unserem Eigenen führen möchte und uns sowohl Begleiter, als auch Augenöffner auf unserer aller Suche nach dem tieferen Sinn des Lebens ist.

verfasst von: ka*

Quellen:
Adam, K.-U. (2006): Therapeutisches Arbeiten mit Träumen – Theorie und Praxis der Traumarbeit. Springer-Verlag: Berlin Heidelberg
Bild „Entpuppt“: ka*
Bild „Sog zum Selbst“: ka*
Bild „Phoenix aus der Asche“: ka*



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